Als kleines Sonntagsgeschenk: Eine komplette Story aus dem Kurzgeschichtenband
"DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN"
DIE HORNISSE
Hätte
ich nicht meine Krawattennadel verloren, wäre alles nicht passiert!
Eigentlich
hätte ich zufrieden sein können. Endlich war die Zeit der
finanziellen Misere vorbei. Der Job war zwar nicht optimal gelaufen,
aber immerhin hatte ich ungestört das Lösegeld kassieren können.
Eigentlich
ist es Unsinn, die Schuld auf die Krawattennadel zu schieben. Das
Blag war schuld! Hätte der blöde Bengel sich nicht irgendwie aus
den Fesseln gewunden und sich die Pflasterstücke von den Augen
gezogen, könnte er heute noch leben.
Er
hatte mein Gesicht gesehen.
Aber
das war noch nicht einmal das Schlimmste. Er hatte sich in dem
Lagerraum umgesehen, in den ich ihn gesperrt hatte. Überall waren
Kartons gestapelt, auf denen meine komplette Firmenadresse stand.
Auch das wäre noch zu ertragen gewesen, weil der Knirps mit drei
Jahren noch nicht lesen konnte; aber er hatte auch die Ware gesehen.
Ich
handele mit Designertelefonen, die kein Aas kaufen will. Überall
standen Apparate in den unterschiedlichsten Formen und Farben herum.
Wenn der Bengel zu Hause ausplauderte, was der fremde Onkel für
viele, tolle Klingelings hatte, konnte ich mir ausrechnen, was
geschehen würde.
Als
ich mit dem Geldkoffer in der Hand ins Lager kam und das Licht
anmachte, saß der Bengel ohne Fesseln auf seiner Matratze und
glotzte mich mit zusammengekniffenen Augen an. Es war mir sofort
klar, dass er genug gesehen hatte, um mich ans Messer zu liefern.
Dabei hatte ich ihn gerade in meinen Wagen packen und irgendwo
aussetzen wollen. Pech!
Ich
habe das Bürschen dann wieder gefesselt und verpflastert. Diesmal
gab's auch einen breiten Streifen Leukoplast über den Mund. Dann
habe ich eine Decke in den Kofferraum meines Wagens gepackt und den
Kleinen dort eingesperrt.
Glauben
Sie nur nicht, dass ich mir die Entscheidung leicht gemacht habe. Ich
habe wirklich eine volle Stunde lang überlegt, wie ich den Bengel am
humansten von der Welt schaffe. Ich hätte ihn ja auch erwürgen
können oder mit einem Kissen ersticken. Aber das ist alles sehr
unangenehm. Das wollte ich ihm einfach nicht zumuten.
Also
habe ich mir die Arbeit gemacht, ihn zu erschießen. Arbeit deswegen,
weil es ziemlich viel Dreck macht. Es spritzt! - Sie wissen schon was
ich meine, nicht wahr?
Zum
Glück gibt es bei uns in der Nähe ein Naturschutzgebiet. Ich kenne
dort eine Ecke in die kaum jemand kommt. Dort habe ich dann meine
.22er rausgeholt, die ich mit zweihundert Schuss Munition mal von
einem Kumpel gekauft habe. Damit habe ich dem Bengel das Lebenslicht
ausgepustet. Er hat garantiert nichts davon gemerkt.
Etwas
schwieriger war schon das Eingraben. Ich hatte mir selbst zur Auflage
gemacht, das Loch wegen der Füchse wenigstens anderthalb Meter tief
zu graben. Keine leichte Sache, wenn man nur einen Klappspaten hat.
Schließlich war es dann so weit. Ganz vorsichtig hatte ich die
Leiche hineingleiten lassen, obwohl das ja gar nicht nötig gewesen
wäre. Aber ich bin nun mal recht feinfühlig, da kann man nichts
machen.
Als
ich das Loch wieder zugeschaufelt hatte, war von dem Grab so gut wie
nichts mehr zu sehen. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich einige
Blutspritzer auf meiner linken Hand hatte. Sie ließen sich aber ganz
leicht abwischen. Dann zog ich den erdbehafteten Overall aus, den ich
bei dieser Aktion getragen hatte, und warf ihn auf der Heimfahrt in
einen Autobahn-Mülleimer. Einzig die Schuhe bedurften einer
gründlichen Reinigung, was aber auch kein Problem darstellte.
Die
nächsten Tage verbrachte ich damit, das Lösegeld auf eventuelle
Manipulationen hin zu untersuchen. Es schien damit aber alles in
Ordnung zu sein. Ich hatte mir sogar eine UV-Leuchte und verschiedene
Chemikalien beschafft, stellte aber bei keiner Banknote eine Reaktion
fest. Offenbar hatten meine Partner sich an die Anweisung gehalten,
nur saubere Scheine zu liefern. Ob Sie es glauben oder nicht, es tat
mir direkt Leid, dass ich den Kleinen nicht hatte zurückgeben
können.
Vorsichtig,
wie ich bin, hatte ich mir dann einige Hunderter genommen und war in
die übernächste Großstadt gefahren. Dort hatte ich in den großen
Kaufhäusern lauter kleine Teile eingekauft. Das Wechselgeld, das ich
nun für meine Hunderter erhielt, war absolut sauber. So machte ich
am ersten Tag viertausendsechshundert Euro Reingewinn. Clever, nicht?
Am
Abend merkte ich dann, dass meine Krawattennadel fehlte.
In
der ganzen Aufregung hatte ich mich ein wenig vernachlässigt. Ich
bin sonst sehr ordentlich und sauber, das können Sie mir glauben. So
gehe ich zum Beispiel nie ohne Krawatte aus. Und zur Krawatte gehört
immer eine passende Krawattennadel! Ich habe vierzehn Stück davon,
die alle auf einem kleinen Samtkissen in meinem Schlafraum stecken.
Allerdings nicht in Reih und Glied. Sonst wäre mir das Fehlen der
einen, speziellen, bestimmt eher aufgefallen.
Die
folgenden zwei Tage waren die Hölle! Immer wieder durchsuchte ich
alle Ecken und Winkel, in die die Nadel hätte rutschen können. Kein
Möbelstück blieb an seinem Platz, kein Kleidungsstück, das ich
nicht mehrmals durchsucht hätte. Ohne Erfolg. Die Nadel war und
blieb verschwunden. Auch im Fahrzeug und in der Firma war nichts zu
entdecken. Als ich endlich sogar den Beutel des Staubsaugers
erfolglos untersucht hatte, wurde mein erster spontaner Verdacht zur
Gewissheit. Die Nadel lag wahrscheinlich im Grab des Bengels, draußen
im Naturschutzgebiet.
"Na,
und?“, werden Sie denken. "Es gibt Millionen Krawattennadeln.
So ein Ding ist kein Beweis!" Da muss ich Ihnen Recht geben.
Allerdings nur im Allgemeinen. Mein spezieller Fall sah da schon
etwas anders aus. Es handelte sich nämlich um ein ganz besonderes
Exemplar.
Einer meiner Lieferanten hatte zu Weihnachten letzten
Jahres Krawattennadeln in Form eines winzigen Telefons an die Händler
verschenkt. Und als besondere Aufmerksamkeit trug jede davon die
Initialen des Beschenkten! Alles klar?
Ich
jedenfalls wusste, was ich zu tun hatte. Nun bin ich, wie bereits
erwähnt, ein recht sensibler Mensch. Horrorfilme und solchen Kram
mag ich überhaupt nicht. Spätestens wenn die Helden sich zwecks
Exhumierung um Mitternacht um ein Grab versammeln, schalte ich um
oder schaue woanders hin.
Jetzt
stand mir also dasselbe bevor, nur dass es an der richtigen Besetzung
mangelte. Normalerweise gehören zu so einer Aktion ja wenigstens
drei Leute: Ein Professor der Medizin, ein Kommissar und ein
Geistlicher. Dazu kommen dann noch zwei Totengräber, die die
Drecksarbeit machen. Ich dagegen musste aus begreiflichen Gründen
auf jede Unterstützung verzichten.
Der
Gedanke, die Leiche auszugraben, war mir zutiefst zuwider. Nahezu
verzweifelt durchsuchte ich nochmals Wohnung, Firma und Fahrzeug.
Aber die Nadel tauchte nicht wieder auf. Dann musste es eben sein!
Zehn
Tage, nachdem ich mit dem Jungen dort gewesen war, fuhr ich wieder
zum Naturschutzgebiet hinaus. Als Geschäftsmann kann ich mir meine
Arbeitszeit ja einigermaßen einteilen, also wählte ich den
Dienstagmorgen. Früh um sieben war ich mit Klappspaten und
Gummihandschuhen ausgerüstet bei dem Grab. Wie ich es mir gedacht
hatte, war es unberührt und weit und breit war keine Menschenseele
zu sehen.
Kurz
spielte ich mit dem Gedanken, Nadel Nadel sein zu lassen und meiner
Wege zu gehen. Andererseits stand zuviel auf dem Spiel. Sollten die
Füchse die Leiche doch noch wittern und ausgraben, hätte ich
verdammt schlechte Karten, das wusste ich genau. Also musste ich die
Nadel aus dem Grab holen, oder mich wenigstens vergewissern, dass sie
auch dort nicht war. Ich hoffte sehr, dass ich sie schnell fand,
vielleicht sogar in den oberen Erdschichten. Ich hatte absolut keine
Lust, den Bengel wiederzusehen, schon gar nicht nach zehn Tagen. Ich
habe in meinem Wochenendhaus mal vergessen, ein Hähnchen
einzufrieren. Es war Sommer. Als ich nach sechs Tagen wieder dorthin
kam ... Mir dreht sich heute noch der Magen um!
Ein
Summen im nahen Gebüsch lenkte mich kurz ab. Ein großes Insekt
schien dort herumzuschwirren. Es war aber nicht zu erkennen.
Ich
räumte das Gestrüpp, das ich zur Tarnung über das Grab gelegt
hatte, zur Seite und fing an zu graben. Die Arbeit ging gut voran.
Das Wetter war trocken gewesen, und die Erde war leicht. Ich
versuchte, mich auf die Erdbrocken auf dem Spaten zu konzentrieren,
vielleicht entband mich ja ein verräterisches Glitzern von der
weiteren Arbeit, da kam wieder dieses Summen aus den Büschen neben
mir. Aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, wie eine
außerordentlich große Hornisse im dichten Blätterwerk verschwand.
Eilig
grub ich weiter. Ich bin kein großer Insektenfreund, und wenn die
Biester auch noch stechen, hört für mich der Spaß endgültig auf.
Nach einigen Minuten spürte ich, wie der Boden unter meinen
Spatenstichen zu federn begann. Jetzt senkte ich das Werkzeug
vorsichtiger und flacher in das lockere Erdreich.
Immer
wieder schaute ich auf. Die Hornisse wollte einfach nicht
verschwinden. Jetzt stand sie knapp außerhalb meiner Reichweite
summend in der Luft und schien mich zu beobachten. Ich habe mal
gehört, dass drei Hornissenstiche einen Menschen töten können.
Langsam wurde ich nervös. Überall im Gebüsch hörte ich es jetzt
brummen. Das musste ein ganzer Schwarm sein, der hier irgendwo sein
Nest hatte. Ärgerlich warf ich einen Spaten voll Erde nach dem
Biest. Es sollte endlich verschwinden. Geschickt wich das Tier aus.
Plötzlich
knackte es unter meinen Füßen und die Erde gab nach. Mit einem
leisen Aufschrei sah ich, wie sich die Erde vor meinen Füßen zu
heben begann. Der Oberkörper des Jungen bohrte sich wankend durch
die Oberfläche. Heute weiß ich, dass ich vermutlich sein Becken mit
meinem Gewicht in eine Mulde gedrückt hatte, aber damals glaubte ich
doch tatsächlich, der Bengel wolle aufstehen und nach mir greifen.
Scheußlich sah er aus, ungelogen! Augen und Mund noch von Pflastern
bedeckt, wirkte er wie ein unfertiger, ungeborener Mensch; wie ein
halb verwester, erdiger Embryo, der mich mit seinen verklebten Augen
vorwurfsvoll anstarrte.
Ich
schäme mich nicht, zu gestehen, dass mir bei diesem Anblick das Herz
in die Hose rutschte. Mein empfindliches Gemüt macht mich nicht
gerade geeignet für solche Aktionen. Genau in diesem Moment spürte
ich einen Stich im Nacken, der sofort in einen brennenden Schmerz
überging. Einen so rasenden Schmerz, wie ich ihn vorher nicht für
möglich gehalten hätte. Sofort war meine linke Halsseite wie
gelähmt.
Die
Hornisse! Das Mistvieh hatte mich gestochen! Mit einem Aufschrei
sprang ich aus dem Grab heraus und die Leiche des Jungen sank wieder
zurück in den krümeligen Boden.
Wieder
ein Stich! Diesmal in die Hand, die ich schützend in das Genick
gelegt hatte. Drei Stiche können einen Menschen töten! Überall um
mich her summte und brummte es. Der Schmerz machte mich halb blind.
Ich ließ Grab Grab und Nadel Nadel sein und rannte! Rannte mit
tränenden Augen und schmerzverzerrtem Gesicht zu meinem Wagen,
hinter mir das schreckliche Summen der Hornissen. Keuchend schlug ich
die Autotür hinter mir zu. Ich war gerettet! - Meinte ich.
Den
Rest des Tages verbrachte ich damit, die Stiche zu kühlen und mir
Sorgen wegen des offenen Grabes zu machen.
In
der Nacht machte ich mich wieder auf den Weg. Mein Hals und meine
Hand taten immer noch teuflisch weh, aber ich musste das Grab wieder
ordentlich verschließen.
Ohne
suchen zu müssen, fand ich die Stelle auch in der Dunkelheit sofort
wieder. Das Licht des vollen Mondes half mir dabei, und als ich mich
auf dem Weg vom Wagen zum Grab kurz orientierte, zog eine einzelne
Sternschnuppe ihre einsame Bahn am Himmel. Hatte mal jemand gesagt,
das seien die Seelen der Kinder, die zu früh gestorben sind? Ich
wusste es nicht. Ehrlich gesagt war ich ziemlich verwirrt und konnte
kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
Am
Grab war alles noch so, wie ich es verlassen hatte. Einige Meter von
dem Loch entfernt lag der Spaten noch genauso da, wie ich ihn
fortgeworfen hatte. Tief in der Erde wurde das, durch die Pflaster
seltsam glatt wirkende, Gesicht des Jungen vom kalten Mondlicht
beschienen.
Hastig
nahm ich den Spaten auf und begann, wieder Erde auf den kleinen
Körper zu schaufeln. Mir war jede Lust vergangen, mich weiter mit
dem Grab und der Leiche zu beschäftigen. Sie wissen ja, ich bin für
so etwas nicht wirklich gut geeignet.
Gut
die halbe Arbeit war getan, als ich plötzlich aufmerkte. Da war ein
Geräusch in den Büschen: - Ein dumpfes Brummen, so als würden sich
tausende von Hornissen zu einem Angriff sammeln. Aber das war
unmöglich. Hornissen fliegen nicht in der Nacht.
Vor
Anstrengung keuchend wuchtete ich einen Spaten voll Erde nach dem
anderen in das Loch, als ich undeutlich die Silhouette einer
Riesenwespe vor meinem Gesicht schweben sah. Voller Panik schlug ich
mit der Hand danach, verfehlte sie aber. Ein kurzes Krabbeln unter
meinem rechten Auge und ein Stich, wie von einer glühenden Nadel
schleuderten mich förmlich fort von dem Grab. Überall auf meinem
Körper fühlte ich nun Insektenbeine. Zwanzig, dreißig Stiche
mussten es jetzt schon sein.
Drei
Stiche können einen Menschen töten? Ich weiß es besser! Hunderte
von Stichen habe ich ertragen müssen, auf dem Weg zum Wagen, und
jetzt sind es schon Tausende. Die Viecher gehen einfach nicht mehr
weg von mir.
Ich
weiß es jetzt! Sie sind nicht echt! Es gibt keine Hornissen, die
nachts fliegen. Es gibt auch keine Hornissen, die ein fahrendes Auto
verfolgen und durch die geschlossenen Scheiben kommen. Es gibt ganz
bestimmt auch keine Hornissen, die zu hunderten aus Wänden wachsen
und über Menschen herfallen. Sie sind nicht echt, aber ihre Stiche
sind es! - Nein, auch die nicht. Es fehlt das Gift! Wären diese
Viecher wirklich giftig, wäre ich seit über zwei Tagen tot. Ich
soll nur die Stiche spüren und die Schmerzen erleiden. Das ist es,
was mir bestimmt ist: Leiden ohne Hoffnung. Schmerzen ohne Ende!
Ich
habe einen Entschluss gefasst: Es ist mir egal, ob das Grab jemals
entdeckt wird. Ich werde mich selbst töten! Seit ich diese
Entscheidung gefällt habe, lassen sie mich in Ruhe. Nur eine von
ihnen schwebt mitten im Raum und beobachtet, wie ich hier mein
Geständnis niederschreibe. Nur wenn ich versuche, sie hereinzulegen,
wird sie die anderen wieder holen.
Ist
es nicht lustig? Eben habe ich die Waffe aus ihrem Versteck geholt,
gereinigt, geölt und neu geladen. Ich möchte keinesfalls, dass das
gute Stück aus irgendeinem Grund versagt. Dabei habe ich etwas
bemerkt, was mir vorher nie aufgefallen war: Es ist wirklich ein
Witz. Raten Sie doch mal, was auf der Munitionsschachtel steht. Mit
was für einer Kugel ich den Jungen erschossen habe? Was für ein
Projektil es sein wird, das mein Gehirn in tausend Stücke reißt?
Ich hoffe, dass ich den letzten Akt nicht auch noch versaue, weil ich
immer wieder Lachanfälle bekomme. Die Bezeichnung der Patronen ist:
.22lfb HORNET! Witzig, nicht?
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"DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN", subtiler Horror für den Nachttisch.
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